Hans-Jürgen Wüsthoff (88), den alle nur „Hanning“ nennen, ist Deutscher Meister 1958 im Vierer ohne Steuermann, war Übungsleiter im Verein, nationaler und internationaler Schiedsrichter, Gründungs- und Vorstandsmitglied der neu formierten Schweriner Rudergesellschaft, Gründungs- und Vorstandsmitglied des Landesruderverbandes Mecklenburg-Vorpommern und über viele Jahre Vereinschronist der SRG. Ohne Frage zählt er zu „unseren Champions“. Noch heute heftet er Artikel ab, wenn die Zeitung über die Medaillen der Ruderjugend schreibt. Während des Gesprächs mit Henning Lipski blättert Hanning immer wieder in seinem Buch „Rudersport in Schwerin – 1871 bis heute“. Er erzählt so anschaulich und lebendig von den Ereignissen aus der langen Vereinsgeschichte, als seien sie gestern erst passiert.
Hanning, Du bist 1958 mit Deinen Ruderkameraden im Vierer ohne in Berlin-Grünau als Erster über die Ziellinie gefahren. Welche Erinnerungen hast Du daran?
Wir haben souverän gewonnen. Wir waren zwei Bootslängen voraus, obwohl das Rennen unter keinem guten Stern stand. Es wurde zweimal abgebrochen. Einmal direkt kurz nach dem Start, weil wir mit dem Boot des TSC Berlin-Oberschöneweide kollidierten. Beide Boote befanden sich nicht in ihrem Fahrwasser. Beim zweiten Mal nach 800 Metern wurden die Leipziger wegen „belangreicher Behinderung“ ausgeschlossen. Beim dritten Mal war Kondition gefragt. Keiner hatte uns zugetraut, dass wir so gut sind. Wir waren als Mannschaft unbekannt und wurden unterschätzt. Wir haben unheimlich viel trainiert. Eine Trainingseinheit ging bis zur Insel Lieps im Schweriner Außensee. Den Vierer ohne haben wir vor Regatten geschliffen und lackiert. Wir waren richtig versessen in die ganze Sache. Von 1874 bis heute ist es der einzige Deutsche Meistertitel für ein Mannschaftsboot aus unserem Verein. Darauf bin ich stolz.
„Wir waren als Mannschaft unbekannt und wurden unterschätzt.“
Hanning Wüsthoff
Nach Deiner aktiven Laufbahn als Wettkampfruderer warst Du Übungsleiter im Verein. Das ist gar nicht so ungewöhnlich. Doch diese Aufgabe endete sehr abrupt. Wie kam das?
Ich habe Schritt für Schritt die Übungsleiterlizenz Stufe IV erworben und ehrenamtlich auch recht erfolgreich Jugendliche trainiert. Dabei waren Klaus-Dieter Stecker, Jugend-DDR-Meister und Reinhard Gust, Weltmeister, Olympia- und Europameisterschafts-Silbermedaillengewinner. Beide waren später bedeutende Sportler. 1964 haben die Jugendlichen meiner Trainingsgruppe in einer Renngemeinschaft mit Rostock den Vizemeister-Titel im Achter der B-Junioren geholt. Das alles hat mir aber nicht geholfen. Als ich am Tag der Befreiung, am 8. Mai, nicht mit demonstriert habe, sondern mit der Mannschaft auf dem Wasser trainiert habe, weil in den Tagen vorher das Wetter so schlecht war, wurde mir das als politische Unzuverlässigkeit ausgelegt. Ich wurde ins Arsenal zum Vorsitzenden von Dynamo Schwerin zitiert und aufgefordert, meine Tätigkeit als Übungsleiter sofort zu beenden.
Dann bist Du Schiedsrichter geworden – Rudern aus anderer Perspektive sozusagen. Was hat Dich daran gereizt?
Das hat mir viel Freude gemacht. Man kennt die Leute alle. Man fährt noch zur Regatta. Man ist noch mitten drin. Unter den Schiedsrichtern gab es auch eine gewisse Gemeinschaft, weil man sich zu den Regatten immer wieder getroffen hat. Mein großes Erlebnis war, dass ich 1984 nach einem Hin und Her doch nach Los Angeles zu den Olympischen Spielen mitfahren konnte. Die erste Zusage wurde zurückgeholt, da war ich schon eingekleidet. Die ganze DDR-Mannschaft durfte dann nicht fahren. Die Kleidung musste ich wieder abgeben. Anschließend hat der Weltruderverband FISA gesagt: Wenn ihr „den Wüsthoff“ nicht fahren lasst, dann kommt ihr 12 Jahre lang nicht mit einem Schiedsrichter auf eine Weltmeisterschaft oder die Olympischen Spiele. „Der Wüsthoff“ sei kein Vertreter der DDR, sondern Mitglied der FISA insgesamt. Dann mussten sie mich ganz alleine fahren lassen. Das war für mich ein Gewinn, denn diesmal waren keine Leute von der Stasi dabei. Es war nicht ganz leicht, weil mein Englisch und mein Französisch nicht allzu gut waren. Ich bin aber ganz gut durchgekommen und habe auch zwei Finals gehabt.
Wie bist Du zum Rudern gekommen?
Über die Schule. Mein Freund Peter Gessner, mit dem ich mich sowas von gut verstanden habe, hatte mit dem Rudern angefangen und mich mitgenommen. 1952 habe ich begonnen. Nach zwei Jahren habe ich schon im Vierer gesessen. Dann habe ich meine Frau im Verein kennengelernt. Sie hat auch gerudert und vor allem gesteuert. Irgendwie bin ich dabeigeblieben über die Jahre.
Du hast die Geschichte der Schweriner Rudersports nicht nur bewahrt und dokumentiert, sondern auch noch aufbereitet. Woher kam der Antrieb, das zu tun?
Im Bootshaus der Schweriner Rudergesellschaft gab es nicht einmal eine einzige Quittung aus den Jahren vor Beginn der Dynamo-Ära. 1954 als der Verein Dynamo wurde, wurde alles vernichtet, was an die Zeit vorher erinnert. Die Schweriner Rudergesellschaft vor 1945 war ein bürgerlicher Verein, der nichts mit der kommunistischen Arbeitersportbewegung gemeinsam hatte. Ich habe jahrelang auch das Rudermagazin geschrieben, um die Ereignisse zu dokumentieren. In einem bestimmten Alter verstarben die Älteren, wie die Trainer Fritz Schumann und Heinz Lange. Ich habe gedacht, dass bald niemand mehr Bescheid weiß über die ganzen Ereignisse. Ich habe angefangen zu sammeln, was ich nur sammeln konnte. Ich habe immer sehr viel Interesse für den Rudersport gehabt. Bei dem Buch ging es mir darum, nicht nur über unseren Verein zu schreiben, sondern über die Entwicklung des Rudersports in Schwerin insgesamt, denn es gab einmal acht Vereine.
Auf welches besondere Ereignis bist Du dabei gestoßen, das Dich überrascht hat?
Das ist schwer zu sagen. Ein großer Glücksfall war für mich, als ich die Chroniken des RC Obotrit erhalten habe. Das wichtigste der drei Exemplare haben Mitarbeiter einer Recycling-Firma in Meißen im Altpapier gefunden. Die Chronik wurde glücklicherweise nicht vernichtet und nach Schwerin zurückgebracht. Sie und die anderen Bände sind heute Eigentum des Vereins. Mir hat schon einmal jemand 2.000 Euro für einen Band angeboten. Der Verein hat gesagt, dass sie nicht weggegeben werden sollen. Gott sei Dank!
Die Schweriner Rudergesellschaft wird in diesem Jahr 150 Jahre alt. Was wünscht Du Deinem Verein für die Zukunft?
So, wie der Verein im Moment geführt wird, so gut hatten wir das noch nie. Wenn das so bleibt, bin ich sehr zufrieden. Das Gute ist, dass der Vorstand nicht nur das Rudern an sich fördert, sondern auch das gesellschaftliche Leben im Verein eine wichtige Rolle spielt. Vielleicht sollte man noch mehr darauf achten, dass nicht nur Ruderinnen und Ruderer ausgebildet werden, sondern auch Fuß fassen in irgendeiner Gruppe, sie miteinander bekannt machen, sodass sie mitrudern können. Selbst wir Älteren haben in unserer Gruppe in letzter Zeit immer noch neue Leute gewonnen.
Hans-Jürgen Wüsthoff (88), den alle nur „Hanning“ nennen, ist Deutscher Meister 1958 im Vierer ohne Steuermann, war Übungsleiter im Verein, nationaler und internationaler Schiedsrichter, Gründungs- und Vorstandsmitglied der neu formierten Schweriner Rudergesellschaft, Gründungs- und Vorstandsmitglied des Landesruderverbandes Mecklenburg-Vorpommern und über viele Jahre Vereinschronist der SRG. Ohne Frage zählt er zu „unseren Champions“. Noch heute heftet er Artikel ab, wenn die Zeitung über die Medaillen der Ruderjugend schreibt. Während des Gesprächs mit Henning Lipski blättert Hanning immer wieder in seinem Buch „Rudersport in Schwerin – 1871 bis heute“. Er erzählt so anschaulich und lebendig von den Ereignissen aus der langen Vereinsgeschichte, als seien sie gestern erst passiert.
Hanning, Du bist 1958 mit Deinen Ruderkameraden im Vierer ohne in Berlin-Grünau als Erster über die Ziellinie gefahren. Welche Erinnerungen hast Du daran?
Wir haben souverän gewonnen. Wir waren zwei Bootslängen voraus, obwohl das Rennen unter keinem guten Stern stand. Es wurde zweimal abgebrochen. Einmal direkt kurz nach dem Start, weil wir mit dem Boot des TSC Berlin-Oberschöneweide kollidierten. Beide Boote befanden sich nicht in ihrem Fahrwasser. Beim zweiten Mal nach 800 Metern wurden die Leipziger wegen „belangreicher Behinderung“ ausgeschlossen. Beim dritten Mal war Kondition gefragt. Keiner hatte uns zugetraut, dass wir so gut sind. Wir waren als Mannschaft unbekannt und wurden unterschätzt. Wir haben unheimlich viel trainiert. Eine Trainingseinheit ging bis zur Insel Lieps im Schweriner Außensee. Den Vierer ohne haben wir vor Regatten geschliffen und lackiert. Wir waren richtig versessen in die ganze Sache. Von 1874 bis heute ist es der einzige Deutsche Meistertitel für ein Mannschaftsboot aus unserem Verein. Darauf bin ich stolz.
„Wir waren als Mannschaft unbekannt und wurden unterschätzt.“
Hanning Wüsthoff
Nach Deiner aktiven Laufbahn als Wettkampfruderer warst Du Übungsleiter im Verein. Das ist gar nicht so ungewöhnlich. Doch diese Aufgabe endete sehr abrupt. Wie kam das?
Ich habe Schritt für Schritt die Übungsleiterlizenz Stufe IV erworben und ehrenamtlich auch recht erfolgreich Jugendliche trainiert. Dabei waren Klaus-Dieter Stecker, Jugend-DDR-Meister und Reinhard Gust, Weltmeister, Olympia- und Europameisterschafts-Silbermedaillengewinner. Beide waren später bedeutende Sportler. 1964 haben die Jugendlichen meiner Trainingsgruppe in einer Renngemeinschaft mit Rostock den Vizemeister-Titel im Achter der B-Junioren geholt. Das alles hat mir aber nicht geholfen. Als ich am Tag der Befreiung, am 8. Mai, nicht mit demonstriert habe, sondern mit der Mannschaft auf dem Wasser trainiert habe, weil in den Tagen vorher das Wetter so schlecht war, wurde mir das als politische Unzuverlässigkeit ausgelegt. Ich wurde ins Arsenal zum Vorsitzenden von Dynamo Schwerin zitiert und aufgefordert, meine Tätigkeit als Übungsleiter sofort zu beenden.
Dann bist Du Schiedsrichter geworden – Rudern aus anderer Perspektive sozusagen. Was hat Dich daran gereizt?
Das hat mir viel Freude gemacht. Man kennt die Leute alle. Man fährt noch zur Regatta. Man ist noch mitten drin. Unter den Schiedsrichtern gab es auch eine gewisse Gemeinschaft, weil man sich zu den Regatten immer wieder getroffen hat. Mein großes Erlebnis war, dass ich 1984 nach einem Hin und Her doch nach Los Angeles zu den Olympischen Spielen mitfahren konnte. Die erste Zusage wurde zurückgeholt, da war ich schon eingekleidet. Die ganze DDR-Mannschaft durfte dann nicht fahren. Die Kleidung musste ich wieder abgeben. Anschließend hat der Weltruderverband FISA gesagt: Wenn ihr „den Wüsthoff“ nicht fahren lasst, dann kommt ihr 12 Jahre lang nicht mit einem Schiedsrichter auf eine Weltmeisterschaft oder die Olympischen Spiele. „Der Wüsthoff“ sei kein Vertreter der DDR, sondern Mitglied der FISA insgesamt. Dann mussten sie mich ganz alleine fahren lassen. Das war für mich ein Gewinn, denn diesmal waren keine Leute von der Stasi dabei. Es war nicht ganz leicht, weil mein Englisch und mein Französisch nicht allzu gut waren. Ich bin aber ganz gut durchgekommen und habe auch zwei Finals gehabt.
Wie bist Du zum Rudern gekommen?
Über die Schule. Mein Freund Peter Gessner, mit dem ich mich sowas von gut verstanden habe, hatte mit dem Rudern angefangen und mich mitgenommen. 1952 habe ich begonnen. Nach zwei Jahren habe ich schon im Vierer gesessen. Dann habe ich meine Frau im Verein kennengelernt. Sie hat auch gerudert und vor allem gesteuert. Irgendwie bin ich dabeigeblieben über die Jahre.
Du hast die Geschichte der Schweriner Rudersports nicht nur bewahrt und dokumentiert, sondern auch noch aufbereitet. Woher kam der Antrieb, das zu tun?
Im Bootshaus der Schweriner Rudergesellschaft gab es nicht einmal eine einzige Quittung aus den Jahren vor Beginn der Dynamo-Ära. 1954 als der Verein Dynamo wurde, wurde alles vernichtet, was an die Zeit vorher erinnert. Die Schweriner Rudergesellschaft vor 1945 war ein bürgerlicher Verein, der nichts mit der kommunistischen Arbeitersportbewegung gemeinsam hatte. Ich habe jahrelang auch das Rudermagazin geschrieben, um die Ereignisse zu dokumentieren. In einem bestimmten Alter verstarben die Älteren, wie die Trainer Fritz Schumann und Heinz Lange. Ich habe gedacht, dass bald niemand mehr Bescheid weiß über die ganzen Ereignisse. Ich habe angefangen zu sammeln, was ich nur sammeln konnte. Ich habe immer sehr viel Interesse für den Rudersport gehabt. Bei dem Buch ging es mir darum, nicht nur über unseren Verein zu schreiben, sondern über die Entwicklung des Rudersports in Schwerin insgesamt, denn es gab einmal acht Vereine.
Auf welches besondere Ereignis bist Du dabei gestoßen, das Dich überrascht hat?
Das ist schwer zu sagen. Ein großer Glücksfall war für mich, als ich die Chroniken des RC Obotrit erhalten habe. Das wichtigste der drei Exemplare haben Mitarbeiter einer Recycling-Firma in Meißen im Altpapier gefunden. Die Chronik wurde glücklicherweise nicht vernichtet und nach Schwerin zurückgebracht. Sie und die anderen Bände sind heute Eigentum des Vereins. Mir hat schon einmal jemand 2.000 Euro für einen Band angeboten. Der Verein hat gesagt, dass sie nicht weggegeben werden sollen. Gott sei Dank!
Die Schweriner Rudergesellschaft wird in diesem Jahr 150 Jahre alt. Was wünscht Du Deinem Verein für die Zukunft?
So, wie der Verein im Moment geführt wird, so gut hatten wir das noch nie. Wenn das so bleibt, bin ich sehr zufrieden. Das Gute ist, dass der Vorstand nicht nur das Rudern an sich fördert, sondern auch das gesellschaftliche Leben im Verein eine wichtige Rolle spielt. Vielleicht sollte man noch mehr darauf achten, dass nicht nur Ruderinnen und Ruderer ausgebildet werden, sondern auch Fuß fassen in irgendeiner Gruppe, sie miteinander bekannt machen, sodass sie mitrudern können. Selbst wir Älteren haben in unserer Gruppe in letzter Zeit immer noch neue Leute gewonnen.